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Historische Tagung zum Antisemitismus in Böhmen und der Tschechoslowakei

BILD v. l. n. r.: Pfr. Gerald Warmuth, Dietlinde Langer, Hermann Lüffe

Von Stefan P. Teppert

Zu ihrer jährlichen Diözesantagung hatte die Ackermann-Gemeinde in der Diözese Rottenburg-Stuttgart am 27. Januar 2024 ins Hotel Fortuna in Schwäbisch Gmünd geladen.

Das Thema waren Antijudaismus und Antisemitismus in den böhmischen Ländern und in der Tschechoslowakei vor dem Ersten Weltkrieg, während der Ersten und Zweiten Republik sowie während der Zeit des totalitären kommunistischen Regimes.

Einerseits fiel die Behandlung dieses Themas auf den Holocaust-Gedenktag und erhielt andererseits eine während der Planungsphase für die Tagung nicht vorhersehbare zusätzliche, wenn auch beklagenswerte Aktualität durch die schrecklichen Ereignisse im Nahen Osten in den vorausgegangenen Wochen.

Mit Prof. Dr. Jaroslav Šebek hatte der Vorstand der Ackermann-Gemeinde einen ausgewiesenen Kenner der Geschichte Böhmens in der Zwischenkriegszeit gewinnen können.

Allerdings war Šebek nicht persönlich anwesend, weil einerseits der Bahnstreik in Deutschland, andererseits eine akute Corona-Erkrankung sein Kommen verhinderten. Seinen elektronisch übermittelten Vortrag verlas deshalb Prof. Dr. Rainer Bendel (siehe Foto), der die Tagung auch organisierte und sie moderiert hat.

Tschechischer Boykott gegen Juden und Deutsche

Während der Antisemitismus in der tschechisch-deutschen Konfrontation in den 1860er und 1870er Jahren latent vorhanden war, nahm er in den 1890er Jahren eine konfrontative Form an. Damals versuchte die Jungböhmische Partei, die Versäumnisse ihrer Politik durch nationale Radikalisierung zu kompensieren.

Ein von tschechischen Kaufleuten angeführter Wirtschaftsboykott gegen deutsche und jüdische Kaufleute bediente sich Stereotypen, die im Laufe der Jahrhunderte entstanden waren: Der Jude wurde als Wucherer und in jüngerer Zeit als Ausbeuter, Kapitalist und Bourgeois verzerrt dargestellt.

Im Werk Jan Nerudas, eines Klassikers der tschechischen Literatur, kommt der frühe europäische Antisemitismus zum Ausdruck. Der politische Antisemitismus hing, so Šebek, mit der Schwächung des Liberalismus und dem Aufstieg der Sozialdemokratie zusammen. Politikern und Journalisten fiel es nicht schwer, jüdische Schuldige für alles Negative in der Gesellschaft zu brandmarken.

Nach antideutschen Massenunruhen griffen 1897 antijüdische Ausschreitungen von Prag aus auf andere tschechische Städte über. Der enorme Aufschwung des Antisemitismus in den böhmischen Ländern und der tschechischen Gesellschaft an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zeige, dass es sehr starke antijüdische Gefühle gab, die sich vor allem in Krisenzeiten niederschlugen.

Antijüdische und antideutsche Ausschreitungen

Zu Beginn der Ersten Republik (1918 – 1938) gab es starke antijüdische Ausschreitungen in Verbindung mit antideutschen. In der tschechischen Presse wurden die Juden stereotyp als Umstürzler der Gesellschaftsordnung, Kriegsgewinnler, Wucherer, skrupellose Geschäftsleute und kommunistische Revolutionäre dargestellt. Eine im Jahr 1926 gegründete faschistische Bewegung fand aber keine große Unterstützung.

Die politischen Eliten, angeführt von Präsident Masaryk, widersetzten sich jedoch allen Bestrebungen, Juden aus der Gesellschaft auszuschließen.

Neben der wachsenden Kritik an der parlamentarischen Demokratie gab es Anfang der 30er Jahre auch in katholisch-politischen Kreisen antijüdische Stimmungen. Führer der Christlich-Sozialen forderten Zugangsbeschränkungen für Juden in Bildung und Wirtschaft. Die Grenze zwischen dem theologischen Antijudaismus und dem rassistischen Antisemitismus war schmal. Zugleich wurden antisemitische Tendenzen von den höchsten Ebenen der Kirche ab Frühjahr 1938 deutlich angeprangert.

Im Januar 1938 begann die neue Regierung unter der Führung des bekannten Dichters und Vertreters des konservativ-nationalistischen Denkens Octavian Goga (1881–1938) mit der Umsetzung einer antisemitischen Politik.

Das Münchner Abkommen als Wendepunkt

Das Münchner Abkommen im September 1938 war ein wichtiger Wendepunkt. Nach seiner Verabschiedung und der Gründung der Zweiten Republik traten antisemitische Tendenzen voll zutage. Kennzeichnend für die Wochen danach war die verzweifelte Suche nach den Schuldigen für diese Katastrophe der Abtretung des Sudetenlandes an das Deutsche Reich, die sich in antijüdischen Stimmungen niederschlug.

In staatlichen Ämtern wurden Angestellte nach rassischen Kriterien qualifiziert. Die Idee des katholischen Milieus bestand vor allem darin, die jüdische Volksgruppe diskriminierend aus dem öffentlichen Raum und der Wirtschaft auszuschließen, ihre Bürgerrechte einzuschränken und ihre Auswanderung zu erreichen. Der katholische Antijudaismus war also hauptsächlich religiös, national-kulturell und sozioökonomisch motiviert und hatte meist nicht die rassistischen Untertöne, die für den modernen Antisemitismus typisch sind.

Die wichtigste Umsetzung des Antisemitismus erfolgte mit der nationalsozialistischen Besatzung und der Errichtung des Protektorats. Die Mehrheit der tschechischen Juden, etwa 78.000, kam in den Vernichtungslagern und Ghettos ums Leben.

In der Nachkriegszeit stieß der Wiederaufbau der jüdischen Religionsgemeinschaften auf materielle Probleme und litt unter dem Mangel an Mitgliedern.

Erneuter Antisemitismus in kommunistischer Diktatur

Die ersten Jahre der kommunistischen Herrschaft nach 1948 waren vom Wiederaufleben des Antisemitismus geprägt, der durch ideologische Gründe und den Einfluss der sowjetischen Politik motiviert war.

Ein erneuter jüdischer Exodus aus der Nachkriegstschechoslowakei erfolgte in zwei Wellen: nach der Entstehung Israels 1948 und der sowjetischen Invasion 1968. Das Feindbild Jude wurde Teil der Propagandakampagnen der vollständig von den Kommunisten kontrollierten Medien.

Der Begriff „Zionist“ wurde entwickelt, um die Verfolgung ehemaliger Mitglieder der Machthierarchie jüdischer Herkunft zu rechtfertigen. Im Zusammenhang mit dem Angriff auf Israel nach dem Sieben-Tage-Krieg 1967 brach Tschechien für 32 Jahre die diplomatischen Beziehungen zum jüdischen Staat ab und unterstützte stattdessen vehement die arabische Welt.

Palästinensische Terrorakte wurden beschönigt, repressive Maßnahmen der israelischen Regierung dagegen hochgespielt.

Positive Erfahrungen mit Juden in Böhmen

In all diesen Perioden seien Hass und Gewalt der Auslöser für die Angriffe auf Juden gewesen, heute dagegen sollten Respekt, Ehrerbietung und Liebe in den Beziehungen vorherrschen. Gleichzeitig müssen wir die Lösung von Krisen rational und sachlich angehen, schloss Šebek resümierend seinen Vortrag.

In der anschließenden lebhaften Diskussion sprachen die Teilnehmer weitere interessante Aspekte von Antijudaismus und Antisemitismus an und berichteten von positiven Erfahrungen mit gut integrierten Juden in ihrer Jugend in Böhmen.

Hermann Lüffe verlieh als Mitglied des Bundesvorstands der Ackermann-Gemeinde die Goldene Ehrennadel mit Urkunde an Frau Dietlinde Langer als langjähriges und verdienstvolles Mitglied.

In seiner Laudatio hob er ihre integrative Kompetenz und kommunikative Art hervor. Sie habe es in großartiger Weise verstanden, bei den Menschen ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu wecken und zu stärken und die Mitglieder für Themen und Aufgaben zu sensibilisieren.

Am Ende der Veranstaltung feierte die Tagungsgemeinschaft mit Pfarrer Gerald Warmuth einen Gottesdienst.

Kommentare

6 Antworten

    1. Guten Tag,
      das müssen Sie die Referenten fragen, die das teils unterschiedlich betrachtet haben, wobei jedenfalls das Sudetenland weitgehend deutsch bevölkert war.
      Freundlichen Gruß
      Felizitas Küble

  1. https://www.thalia.de/shop/home/artikeldetails/A1037664929?ProvID=11000533&gad_source=1&gclid=EAIaIQobChMIn-rXhtOchAMVKFCRBR2IVgBdEAQYBCABEgJdHfD_BwE

    Das Buch „Der ewige Sündenbock“, womit Juden gemeint sind,
    macht erschreckend deutich für was den Juden alles die Schuld in
    die Schuhe geschoben wurde und wird.

    In diesem Buch wird noch nicht mal alles zur Sprache gebracht was Juden alles Schuld sein sollen.
    Ich persönlich möchte da auch mal an die Kirchen erinnern.
    Hat man in der Kirche schon mal in einer Predigt gehört, dass die Römer Jesus ans Kreuz genagelt haben? Dass sie es waren, die Jesus mit Peitschen geschlagen haben, ihn durch die Straßen getrieben haben und ihm die Dornenkrone verpaasst haben? Komisch, das wird nie erwähnt. Einzig der römische Feldherr, Pontius Pilatus der Besatzer Israels wird als Schuldiger erwähnt.

    Es gäbe dazu noch viel zu sagen.

  2. Wir lernen aus der Geschichte, dass wir nichts aus der Geschichte lernen.

    Wenn der Faschismus mit dem Antisemitismus wiederkommt, sagt er nicht: Hallo, hier bin ich wieder, ich bin der Faschismus.

    Er sagt, ich bin DER ANTIFASCHISMUS.

    Schauen wir uns an, wer zur Zeit alles gegen das Recht und die OPPOSITION auf die Straße geht.

    Die OPPOSITION MUSS die Regierung kritisieren, wenn sie gegen die Bürger regiert. Das ist in einer Demokratie unbedingt nötig. Die AfD erfüllt also ihre demokratische Aufgabe.

    Die Opposition muss die Regierung kritisieren, wenn diese die Grundrechte als Abwehrrechte der Bürger gegen den Staat aussetzt (wie z.B. in Bezug auf Corona und Klimawandel).
    … wenn sie den Föderalismus einschränkt
    … wenn sie Menschenwürde, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit beschädigt.

    … wenn sie Ideologien wie Klimawandel-, WHO- und CBDC-Ideologien zulässt und Kritiker ausgrenzt und diffamiert
    … wenn die Justiz nicht mehr unabhängig ist

    – wenn die Gewaltenteilung nicht mehr funktioniert
    – wenn offiziell anerkannte Medien, also die vierte Gewalt, sich nicht strikt nach dem Pressekodex richtet, wenn sie nicht die Regierung kritisiert, wenn sie nicht die Interessen der Bürger vertritt und neutral recherchiert.
    – wenn unabhängiger und durch Regierung und andere Mächte unbeeinflusster inhaltlicher und sachbezogener Wettbewerb der Parteien, ohne persönliche Diffamierung nicht mehr stattfindet

    – wenn Kritik als Hass und Hetze zensiert werden soll
    …. und hunderte weitere wichtige Themen.

    All das MUSS die OPPOSITION KRITISIEREN. UND es wichtig für die Demokratie wenn die AfD als Opposition das macht.

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