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Wenn in der Impf-Debatte Sachlichkeit und Fairness auf der Strecke bleiben…

Von Dr. Axel Bernd Kunze

Impfung als Zeichen von Nächstenliebe – unter dieser Überschrift setzt die Verlagsgruppe Bistumspresse, ein Verbund von zwölf nord- und mitteldeutschen Kirchenzeitungen, in ihrer Ausgabe vom 24. Oktober 2021 die Leserbriefdebatte zur Coronaimpfung fort.

Die neue Leserbriefseite wird zu einem Lehrstück christlicher Nächstenliebe.

Und die Emotionen schlagen in der neuen Ausgabe der Kirchenzeitung hoch, nachdem fünf Leserbriefschreiber „sich berufen fühlten“, den Chefredakteur Ulrich Waschki zu kritisieren – so Dr. med. Walter Ecker. Was für eine Majestätsbeleidigung gegenüber der Vierten Gewalt.

Der Mediziner wirft seinen andersdenkenden Kollegen aus der leserbriefschreibenden Zunft vor: „Keiner von ihnen hat auch nur ein wissenschaftlich fundiertes Argument genannt.“

Wir wissen schon: Die Wissenschaft hat festgestellt – und abweichende Meinungen sind eben erst gar keine Wissenschaft. Stattdessen ist sich Dr. Ecker seiner Sache sehr sicher: „Hardcore-Impfgegner“ – darunter geht es offenbar nicht – sind „beratungs-“ und „faktenresistent“, sie infizieren ihre Mitmenschen (Moment: können nicht auch Geimpfte das Virus weiter übertragen?) und – ach ja: sie sind nicht christlich. In früheren Zeiten hätte man so eine Argumentationsstrategie auch nicht „wissenschaftlich fundiert“, sondern moralisierend genannt.

Jeder mag sich über die Impfung sein eigenes Urteil bilden. So ist das in einer freien Debatte. Und es spricht nichts dagegen, sich von wissenschaftlich fundierten Argumenten überzeugen zu lassen.

Doch  stattdessen liefern die weiteren Leserbriefschreiber unfreiwillig den Beleg, wie vermachtet, emotionalisiert und moralisierend der Impfdiskurs geführt wird – und merken es nicht einmal.

Für  Bernhard Meyer aus Erfurt können die Gründe der anderen nur „vorgeschobene“ sein. Ingrid Seeseke aus Bremen ist „empört“, dass „solche Meinungen“ überhaupt abgedruckt werden“! Richtig, die eigene Position wirkt umso überzeugender, wenn man andere Meinungen gar nicht erst zu Wort kommen lässt. Wo kämen wir denn sonst hin – in einem Land, das einmal Presse- und Meinungsfreiheit kannte.

Alle im Gleichschritt marsch! – das ist „christliche Nächstenliebe“ oder „der christliche Weg“. Was brauchen wir in der Kirche noch den

mündigen Christen und das freie Subjekt (anderslautende Stimmen nicht nur aus dem Synodalen Weg habe ich mir vermutlich nur eingebildet). Schön angepasst soll er sein, der Vorzeigechrist.

„Impfgegner sind die Spalter der Gesellschaft“, ist sich Elisabeth Müller aus Berlin einig. Ein solches moralisches Selbstbewusstsein könnte viel mit Projektion zu tun haben. Im Namen christlicher Nächstenliebe darf man neuerdings auch, was bisher nur „Rechtspopulisten“ zugestanden wurde: hetzen, ausgrenzen und Menschen abstempeln.

Und Eleonore Recker-Korte aus Osnabrück dekretiert: „Grundrechte werden eingeschränkt, weil die Ungeimpften verhindern, dass Vorsichtsmaßnahmen unnötig werden.“ – Nein, wir haben es nicht mit gravierenden Wertkonflikten und komplexen Abwägungsprozessen zu tun, sondern mit einem quasimoralischen Automatismus: Die sind eben selber schuld.

Die freie, selbstbestimmte, eigenverantwortliche Entscheidung über den eigenen Körper, Kern jeder Menschen- und Grundrechtsordnung, gehört nicht mehr zum Wesen christlicher Ethik.

Nun sollte man Leserbriefschreiber nicht mit Erwartungen überfordern. Eine größere Verantwortung tragen die Sozialethiker, Theologen und Bischöfe, die es besser wissen sollten – und schweigen. Und sich damit mitschuldig machen an einem politisch-gesellschaftlichen Klima, in dem wieder einmal nach Sündenböcken gesucht, die Freiheit mit Füßen getreten und einer bestimmten Bevölkerungsgruppe die sozialen Teilhaberechte entzogen werden.

Sollte sich der Wind doch einmal wieder drehen, könnte den theologisch und kirchlich Verantwortlichen viel zu spät dämmern, welches Vertrauen sie jetzt verspielen – und Vertrauen ist ein wichtiges pastorales Gut.

Erstveröffentlichung des Beitrags von Dr. Kunze hier: https://bildung-und-ethik.com/2021/10/27/schlaglicht-corona-macht-es-moglich-eine-leserbriefseitewird-zum-lehrbeispiel-christlicher-nachstenliebe/

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