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Warum die Vertreibung von Millionen Deutschen völkerrechtswidrig war

Von Prof. Dr. Alfred de Zayas

Deutsch: Prof. Dr. Dr. Alfred de Zayas

Der Beitrag der Vertriebenen zum heutigen Deutschland ist bekannt. Und dennoch haben sich die deutschen Politiker, die Medien und die deutsche Historikerzunft verhältnismäßig wenig mit der Vertreibung auseinandergesetzt.

Lange war die Thematik ein „Stiefkind der Zeitgeschichtsschreibung“ (Herbert Ammon, 1996).

Heute erscheinen zahlreiche Bücher über die Vertreibung und Fernsehsendungen werden ausgestrahlt. Somit hat die notwendige Aufarbeitung der Katastrophe der Vertreibung begonnen, allerdings nicht immer in intellektueller und wissenschaftlicher Redlichkeit, nicht immer mit Ehrfurcht und Respekt vor den Opfern und somit nicht immer in Achtung der Menschenwürde.

Bald wird die literarische Aufarbeitung erblühen. Immerhin erfreuen wir uns über die Bücher von Agnes Miegel, Siegfried Lenz oder Arno Surminski. Viele erfreuen sich über die Romane des Literatur-Nobelpreisträgers Günther Grass. Eigentlich gefallen sie mir etwas weniger – und seine Novelle „Im Krebsgang“ schon gar nicht.

Nun warte ich auf den Tag, an dem der wirklich große Roman über die Vertreibung geschrieben wird und hoffentlich auch einen Verleger findet – ein deutsches „Vom Winde verweht“.

Wie Sie wissen, habe ich mich mit der Frage der Vertreibung der Deutschen seit Jahrzehnten beschäftigt, und zwar seitdem ich erst darüber erfuhr an der Harvard Law School im Jahre 1970, und seitdem ich mit einem Fulbright-Stipendium vor 30 Jahren nach Deutschland kam.

Lassen Sie mich als Nicht-Deutscher und in meiner Eigenschaft als Historiker und Völkerrechtler sagen:

Erlauben Sie mir, dass ich die Vertreibung aus der Warte meiner 22-jährïgen Tätigkeit als Völkerrechtler im Zentrum für Menschenrechte der Vereinten Nationen beurteile, als ehemaliger Sekretär des UNO-Menschenrechtsausschusses und als ehemaliger Chef der Petitionsabteilung im Büro des Hochkommissars für Menschenrechte:

BILD: Titel „80 Thesen zur Vertreibung“ von Prof. Dr. Alfred de Zayas und Konrad Badenheuer

Ohne Zweifel war die Vertreibung der Deutschen völkerrechtswidrig. Darüber hinaus war sie ein Verbrechen gegen die Menschheit.

Der englische Begriff „ crime against humanity “ wird insofern falsch übertragen, wenn er nur als Verbrechen gegen die Menschlichkeit übersetzt wird. Denn die eigentliche Bedeutung in Englisch geht viel tiefer – wir meinen ein Verbrechen gegen alle Menschen, gegen die Menschheit als solches, und nicht etwa ein Vergehen aus Mangel an Menschlichkeit.

Der Begriff „Verbrechen gegen die Menschheit“ wurde bereits im Ersten Weltkrieg geprägt, und zwar von den Engländern in einer offiziellen Note vom 28. Mai 1915 an den Türkischen Sultan. Dort werden die Massaker an den Armeniern als „ crimes against humanity and civilization “ bezeichnet.

Das Wort Genozid existierte noch nicht. Es wurde erst 1944 vom polnischen Juristen Raphael Lemkin erschaffen und in die Nürnberger Anklageschrift und in das Nürnberger Urteil aufgenommen.

Erst drei Jahre später wurde die Konvention gegen den Völkermord von den Vereinten Nationen verabschiedet.

Somit sind die Worte Verbrechen gegen die Menschheit und Völkermord besondere völkerrechtliche Begriffe geworden, und diese müssen auch konsequent angewandt werden, wenn die Tatbestände des Verbrechens vorliegen – wie leider auch im Falle der Vertreibung der Deutschen.

Wenn wir über die Vertreibung von 15 Millionen Deutschen reden, von denen mehr als 2 Millionen die unsäglichen Leiden nicht überlebten, geht es um ein Verbrechen, das viel größer war als die ethnischen Säuberungen, die 1991 – 95 und abermals 1998/99 im ehemaligen Jugoslawien stattfanden, und die von der ganzen Welt verurteilt wurden.

Heute gedenken wir der Millionen unschuldiger Menschen, die Ihr Leben auf der Flucht und bei der Vertreibung verloren haben, wir gedenken auch der Menschen, die Ihre Heimat und ihre Seele zurückließen. Denn es geht auch um die menschliche Tragödie der gewaltsamen Trennung von der angestammten Heimat.

Vor vielen Jahren hörten die Vertriebenen in der Paulskirche zu Frankfurt am Main anläßlich der Gedenkstunde „50 Jahre Vertreibung“ jene Grußbotschaft des ersten UNO-Hochkommissars für Menschenrechte, Jose Ayala Lasso: Er sagte:

„Das Recht, aus der angestammten Heimat nicht vertrieben zu werden, ist ein fundamentales Menschenrecht“

Und in der Tat ist das Recht auf die Heimat eines der wichtigsten individuellen und kollektiven Rechte, ein Recht, daß den Genuß von vielen anderen Menschenrechten erst ermöglicht.

Ein Recht, dessen Verletzung ein Verbrechen darstellt, ein Recht, das wesentlicher ist als das Selbstbestimmungsrecht der Völker, denn wie könnte das Selbstbestimmungsrecht ausgeübt werden, wenn ein Volk jederzeit vertrieben werden kann?

Wenn wir jetzt der Vertreibung gedenken, gedenken wir der deutschen Frauen, Kinder, Greise und Männer, die zur Flucht gezwungen wurden und dann terrorisiert und ausgeraubt und aus ihrer zum Teil 700-jährigen Heimat vertrieben wurden.

Für die Vertreibung gab es und gibt es absolut keine historische oder moralische Rechtfertigung. Es war keine Strafe für Hitler, denn die polnischen und tschechischen territorialen Ansprüchen und Vertreibungsprojekte existierten nachweislich schon seit dem Ersten Weltkrieg. Es war Landraub im großen Stil.

Der Zweite Weltkrieg war keinesfalls die Ursache der Vertreibung – sondern nur der unmittelbare Anlass. Es wirkte das Vae Victis, das „Wehe den Besiegten“, wie Livius bereits vor 2000 Jahren schrieb – geprägt durch eine heute unvorstellbare Grausamkeit und durch heute durchaus vorstellbare Hybris und Machtfülle der Sieger, wie wir sie in der derzeitigen Weltsituation auch beobachten können.

Hier muss ich ganz entschieden die menschenverachtende Aufteilung der Welt nach einer primitiven Schablone von Tätern und Opfern ablehnen. Diese Aufteilung hat nichts mit Geschichte oder Völkerrecht zu tun. Nichts mit Wissenschaft, Realpolitik oder Sinn für die politischen Realitäten.

Diese Aufteilung ist schlichtweg eine Verlogenheit und eine Obszönität, denn eine Kollektivschuld hat es nie gegeben. Schuld und Unschuld sind individuell, nicht kollektiv. Kein Staat außer Deutschland hat sich nach 1945 so gewissenhaft der schmerzhaften und undankbaren Aufgabe unterworfen, individuelle Schuld eigener Bürger zu verfolgen und zu bestrafen und im Rahmen des Möglichen – teilweise darüber hinaus – Wiedergutmachung zu leisten.

Der erste UNO-Hochkommissar Ayala Lasso hat öfters daran erinnert, daß alle Opfer dieselbe menschliche Würde haben. Es gibt keine und es darf auch keine politisch korrekten und politisch inkorrekten Opfer geben. Es gibt nur Menschen, die leiden und die gelitten haben.

Alle Opfer haben einen Anspruch auf menschliches Mitgefühl, auf Respekt und auch auf Wiedergutmachung.

Die Vertreibung geht uns alle an. Ob direkt Betroffener, Kinder und Enkel von Vertriebenen, ob Deutscher oder Nicht-Deutscher.

Wir reden von einer Flucht von Millionen friedlichen Menschen aus Ostpreußen, Pommern, Ostbrandenburg, Schlesien – um noch Schlimmerem zu entkommen. Vom Bundesarchiv wird geschätzt, dass 600.000 Deutsche aufgrund direkter Gewaltanwendung – Mord, Totschlag, Folter – ihr Leben verloren haben. Weitere 1.5 Millionen verloren ihr Leben im Laufe der Flucht und als Konsequenz der Vertreibung durch Erschöpfung, Hunger, Seuchen und Überarbeitung in zahllosen Zwansarbeitslagern zwischen Oberschlesien und Sibirien.

Millionen Frauen und sogar Kinder wurden vergewaltigt.

Wir reden über massive Verbrechen im Krieg, über groteske Verbrechen nach dem Kriege, also Verbrechen in sogenannten Friedenszeiten, denn viele der Vertreibungsverbrechen sind lange nach der deutschen Kapitulation geschehen.

Dabei weise ich auf die Ambivalenz des Begriffes „Vertreibungsverbrechen“ ausdrücklich hin: Wenn wir die Vertreibung selber als Verbrechen verurteilen, kann es in diesem Mega-Verbrechen nicht noch lauter „kleine“ Verbrechen geben; ich rege an, für die zahllosen mörderischen Übergriffe auf die Zivilbevölkerung den Begriff Vertreibungsexzesse zu verwenden.

Es ist eben unmöglich, die Massenausweisung von Millionen Menschen „in geordneter und humaner“ Weise durchzuführen, wie es im August 1945 in Potsdam hieß. Wer ein solches Mega-Verbrechen beschließt, programmiert Exzesse!

Wir reden über Landraub größten Ausmaßes, über Raub von Privateigentum. Wir reden über die verbrecherischen Benes-Dekrete 12, 33, 108, um nur einige zu nennen.. Über die Amnestien für die polnischen und tschechischen Täter, über die Straffreiheit der Mörder und Plünderer.

Hören wir noch einmal, was Alexander Solschenizyn, 1945 Soldat der Roten Armee in Ostpreußen, im seinem Buch „Archipel GULag“ beschrieb:

„Ja! Nach drei Wochen Krieg in Deutschland wussten wir Bescheid. Wären die Menschen Deutsche gewesen – jeder hätte sie vergewaltigen, danach erschießen dürfen, und es hätte fast als kriegerische Tat gegolten …“

Er beschrieb noch schlimmeres in seinem Gedicht „ Preußische Nächte “:

„Was Jahrhunderte geschaffen,

brennt hier nieder, sinkt zu Schutt

Flammen plätschern, Flammen peitschen

über meinen Kopf hinweg.

Neidenburg: verglühend bricht hier

altes gutes Mauerwerk.

Überstürzt ward’s aufgegeben

rasch besetzt im Plünderwahn…

Zweiundzwanzig Höringstrasse

Noch kein Brand, doch wüst, geplündert

Durch die Wand gedämpft – ein Stöhnen:

Lebend finde ich noch die Mutter.

Waren’s viel auf der Matratze ?

Kompanie? ein Zug? – was macht es!“

Auch Lew Kopelew schrieb über die Morde an Zivilisten. Und viele belgische und französische Kriegsgefangene in Ostpreußen, die vor und nach ihrer Befreiung die sowjetischen Morde an deutsche Zivilpersonen sahen. Ich habe viele der ehemaligen Kriegsgefangenen für mein Buch „Die Anglo-Amerikaner und die Vertreibung“ interviewt.

Wir danken dem deutsch-amerikanischen Historiker, Buchautor und UNO-Menschenrechts-Experten Prof. Dr. Alfred de Zayas für seine freundliche Abdruckerlaubnis. – Quelle und vollständige Fassung des Beitrags auf seiner Webseite: http://alfreddezayas.com/Lectures/60JahreVertreibung_de.shtml

Kommentare

7 Antworten

  1. Erwähnt werden sollte auch, dass es sehr wohl Anfeindungen und Bedrohungen Deutschlands bzw. des Deutschen Reiches in der internationalen Presse und durch geopolitische Interessen der kapitalistischen und imperialistischen Großmächte gab.
    So etwa durch die internationale Presse und durch geopolitische Planungen wie den Kaufmann Plan mit „Germany must perish!“ und Übergriffe der nationalistischen Regierungen Polens und der Tschechei gegen nationale Minderheiten wie etwa eben auch die Deutschen usw.
    Siehe dazu auch die Vorkriegsgeschichte http://www.vorkriegsgeschichte.de

  2. 80 Jahre „Unternehmen Barbarossa“
    Annäherung an die historische Wahrheit
    Zum 80. Jahrestag des „Unternehmens Barbarossa“ herrscht im offiziellen Diskurs kein Zweifel daran, daß Deutschland die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg ohne Grund überfallen habe. Dabei werden historische Fakten ausgeklammert. Aber eine Graswurzelbewegung läßt auf eine Versachlichung und Normalisierung der Diskussion hoffen.
    weiterlesen

    https://jungefreiheit.de/wissen/geschichte/2021/unternehmen-barbarossa-historische-wahrheit/

  3. Von besonderer Wichtigkeit ist Alfred de Zayas wissenschaftlich gesicherter Befund, dass die Vertreibung der 15 Millionen Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg (einschließlich des Landraubs) „keine Strafe für Hitler“ war, wie viele meinen, sondern Ergebnis einer älteren panslawistischen Expansionsbewegung Richtung Westen.
    Leider wird das heutige Geschichtsbild der Vertreibung in Deutschland maßgeblich von der unaufrichtigen Darstellung des Ex-Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker in seiner Rede vom 8. Mai 1985 bestimmt. Deren zentraler Satz „Der erzwungenen Wanderschaft von Millionen Deutschen nach Westen folgten Millionen Polen und ihnen wiederum Millionen Russen“ ist – abgesehen von der missratenen Formulierung „erzwungene Wanderschaft“ – nachweislich falsch.

  4. Vorkriegsgeschichte – siehe auch Gerhoch Reiseggers Bücher etwa zu den Benesch-Dekreten und etwa Pat Buchanan und seine Bücher etwa zur Politik des britischen Premiers Winston Churchill

    http://www.vorkriegsgeschichte.de

    Erwähnt werden sollte auch nach, dass es – abgesehen von dern geopolitischen und wirtschaftlichen Bestrebungen gegen Deutschland, siehe etwa den Kaufmann-Plan und den britischen Premier Winston Churchill – jede Menge Anfeindungen und Provokationen und Drohungen in der internationalen Presse gegen Deutschland bzw. das Deutsche Reich gab.
    Und auch wirtschaftliche Sanktionen und Embargos gegen das deutsche Reich und Übergriffe etwa der extrem-nationalistischen polnischen und tschechischen Regierungen gegen nationale Minderheiten und vor allem gerade auch die Deutschen.
    Bis zuletzt hatten die Nazis in den letzten freien Wahlen keine Mehrheit, siehe auch Alfred Deschners Buch „Der Moloch“ zur Banken-Finanzierung der Nazis und Dr. Anthony C. Sutton „Wallstreet and the rise of Hitler“ und Ploppa und den Freimaurer und Insider Hjalmar Schacht als Finanzier und Mittelsmann der Nazis und Hitlers Finanzminister.
    Die meisten Deutschen hatten Hitlers Buch „Mein Kampf“ auch gar nicht gelesen, zudem distanzierte er sich später davon und von dessen Inhalten und Thesen.
    Zudem galten diese Ganzen heute als unwissenschaftlich entlarvten Rassentheorien damals noch als wissenschaftlich. Ursprünglich wollten die deutschen Generäle sich eigentlich auch mit den unterdrückten Sowjet-Völkern gegen die Kommunisten verbünden, siehe auch General Erich von Mansteins Buch „Verlorene Siege“ dazu. Aber der größenwahnsinnige Psychopath Hitler mit seiner wahnwitzigen Rassenlehre wollte dies einfach nicht zulassen. Anfangs wurden die einmarschierenden Wehrmachtssoldaten von den unterdrückten Sowjet-Völkern noch jubelnd als Befreier begrüsst. Bis sie sich dann als Besatzer und Herrenmenschen aufführten, und so die Bevölkerung in den Partisanen-Kampf trieben. Auch deswegen verzögerte sich der deutsche Vormarsch und blieb dann der deutsche Vormarsch auf Russland im Schlamm des russischen Herbstes und Winters stecken. Es waren übrigens auch die Briten, welche als erste mit der Bombardierung ziviler Ziele und Deutscher Wohngebiete anfingen, siehe auch den Briten Winston Churchill dazu. Dann erst zog die deutsche Luftwaffe dementsprechend nach.
    Es gab übrigens auch eine freimaurerische Beteiligung des britischen Geheimdienstes am Völkermord an den Armeniern durch die sogenannten Jungtürken, siehe auch die BüSo dazu.

  5. Zum Jahresgedanktag der Zerstörung von Dresden, gab es immer wieder Gegendemonstrationen.
    Dabei wurde skandiert und als Schilder zum Ausdruck gebracht- wörtlich:
    „Täter sind keine Opfer“.
    Das sagt unsere Antifa.

    1. „Die Vertriebenen waren Opfer der Unmenschlichkeit der Sieger, heute sind sie Opfer der Diffamierung durch viele Medien und dem Zeitgeist verhaftete Historiker“ (Alfred de Zayas/Konrad Badenheuer: 80 Thesen zur Vertreibung. Aufarbeiten statt verdrängen. London/Berlin 2019, These 75).
      Analog gilt der Satz für die Opfer der alliierten Bombenangriffe auf Dresden vom 13. bis 15. Februar 1945, auch ein „Verbrechen gegen die Menschheit“.
      Die Antifa reiht sich unter die Diffamierer ein.

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