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Warum Kardinal Müllers wegweisende Warnungen berechtigt sind

Von Dr. Axel Bernd Kunze

Der ehemalige Präfekt der Glaubenskongregation ist durchaus ein kantiger Kirchenmann, an dem sich die Geister scheiden. Unlängst äußerte sich Kardinal Gerhard L. Müller in einem Interview mit dem Institut St. Bonifatius erneut zu gravierenden Wertkonflikten, die Kirche und Gesellschaft gegenwärtig spalten.

Impfzwang, eine chaotische staatliche Coronapolitik, 2G-Regel in Gottesdiensten (für Müller unmissverständlich ein Verrat der Kirche am Auftrag ihres HERRN), das Buch von Klaus Schwab und Thierry Malleret „COVID-19. Der große Umbruch“ sind nur einige der heißen Eisen, zu denen Kardinal Müller Position bezieht.

Und er äußert „Kapitalismuskritik“ von rechts – wie gefährlich! – So wirft Müller im Interview die Frage auf, ob eine derart gewaltige Kapitalkumulation, wie wir sie bei einigen Unternehmensgründern erleben, zum demokratietheoretischen Problem werden könne – über diese Frage wird durchaus sozialethisch diskutiert und darüber kann und sollte seriös diskutiert werden.

Doch es kam, wie es kommen musste. Schnell waren die üblichen Vorwürfe von Verschwörungstheorien und antisemitischen Klischees zu vernehmen. Allesamt Ad-hominem-Argumente, die drauf zielen, die moralische Integrität des Gegenüber zu beschädigen und eine sachliche ethische Debatte zu unterlaufen.

Lassen wir einmal außen vor, ob viele Vorwürfe, die Kardinal Müller mit seinem Interview auf sich gezogen hat, nicht eher Projektion sind. Er bedient Verschwörungstheorien oder Antisemitismen im Interview in keiner Weise, aber er äußert sich zu brisanten Themenfeldern, bei denen es solche im öffentlichen Diskurs durchaus gibt.

Das darf aber kein Grund sein, die Debatte über diese Themen zu beenden, sondern vielmehr für einen differenzierten und angemessenen Ton innerhalb der sozialethischen Debatte zu sorgen. Beides macht einen Unterschied.

Müller weicht heiklen Themen nicht aus – und gibt so jene geistlich-moralische Orientierung, die gegenwärtig so viele schmerzhaft von der Kirche vermissen.

Er tritt für eine funktionierende Gewaltenteilung ein, eine unabhängige Judikative, eine Wahrung der Wert-, Grundrechts- und Menschenrechtsordnung, für die Freiheit des Gewissens, für ein freiheitliches Diskursklima an den Universitäten (hier fällt seine Kritik durchaus sehr scharf und schonungslos aus, immerhin war Müller selbst einmal Professor gewesen), für die Freiheit Andersdenkender, etwa im universitären Raum  – und er wendet sich im Einklang mit der Glaubenskongregration seiner Kirche gegen eine Impfpflicht im konkreten Fall.

Alles in allem eine starke christliche Freiheitslehre, die Müller vertritt. Man muss ihm nicht in jedem Detail politisch zustimmen, aber man sollte sein Anliegen unvoreingenommen würdigen.

Umgekehrt gehört schon viel Chuzpe dazu, wenn die Kirchenvolksbewegung „Wir sind Kirche“ in einem am 23. Dezember 2021 veröffentlichten offenen Brief, für den um weitere Mitzeichner geworben wird, den Kardinal gerade im Namen der Freiheit mundtot machen will: „Wir appellieren eindringlich an Papst Franziskus, dafür Sorge zu tragen, dass dem unverantwortlichen Treiben von Kardinal Gerhard Ludwig Müller umgehend Einhalt geboten wird.“

Ja, mehr noch: Der Kardinal solle aus dem Kreis der Papstwähler ausgeschlossen und aus dem Obersten Gerichtshof der Apostolischen Signatur verbannt werden.

Die Begründung der Kirchenaktivisten ist bemerkenswert: Ein Kardinal sollte alles tun, „um Spaltungen in Gesellschaft und Kirche zu vermeiden.“ Das nennt man wohl höhere Dialektik. Spaltung soll mit einem Aufruf zur Ausgrenzung beantwortet werden, im Namen der Pluralität, versteht sich.

Hier soll ein streitbarer Kirchenmann, dessem Ansichten vielen zu freiheitlich oder konservativ sind, sozial vernichtet werden. Das Urteil steht schon im voraus fest. Da kann der Kardinal machen, was er will, selbst wenn er unmissverständlich vor der Gefahr einer Spaltung infolge einer polarisierenden Coronapolitik warnt.

Streitbar und prinzipienfest, wohl auch ein wenig stur, so lässt sich Müller beschreiben – für die einen ein Überzeugungstäter, für die Kirchenaktivisten ein notorischer Wiederholungstäter.  Denn –  so die Kritik im Offenen Brief  –  Medienkritik ficht ihn nicht an, im Gegenteil: Sie führt nur dazu, noch einmal nachzulegen, zu bekräftigen, sogar zu verschärfen.

Aber Müller trägt die rote Farbe gerade nicht allein als Schmuck. Nein, hier ist ein Kardinal zu erleben, der Widerspruch, Bekenntnis und Klarheit um der Wahrheit willen nicht scheut – aus gläubiger Verantwortung.

Ein Kardinal, der für seine Positionen streitet, und nicht bereit ist, gravierende Wertkonflikte vorschnell unter den Teppich zu kehren, bis man nur noch gebückt unter der kirchlichen Zimmerdecke laufen kann. Chapeau!

Unser Autor Dr. Kunze ist Bildungsethiker und katholischer Publizist; er betreibt einen eigenen Blog zu Themen der Zeit: https://bildung-und-ethik.com/

 

Kommentare

6 Antworten

  1. … eine funktionierende Gewaltenteilung ein, eine unabhängige Judikative, eine Wahrung der Wert-, Grundrechts- und Menschenrechtsordnung…
    – in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren die Bischöfe genau dagegen. Viele hielten am „Ancient Régime“, d.h. dem Gottesgnadentum fest. Und die Idee von Menschenrechten wurde zur Zeit der französischen Revolution abgelehnt, und meines Wissens auch noch im Syllabus Pius IX.. verworfen.

    Ich folgere hieraus, ein Kirchenmann sollte sich in der Öffentlichkeit auf seine Kernkompetenz (Verkündigung der katholischen Glaubens- und Sittenlehre) beschränken und sich politisch nicht allzu weit aus dem Fenster lehnen.

    1. Guten Tag,
      es gibt ja neben der Glaubens- und Sittenlehre auch noch die ebenfalls altbewährte Hinordnung auf das „Naturrecht“ als natürlicher Grundlage des Sittengesetzes.
      Im übrigen ist es doch gut, wenn aus Fehlern des 19. Jahrhunderts gelernt wird, statt deshalb stillzuhalten und sich „nicht allzu weit aus dem Fenster zu lehnen“.
      Also auf halbem Wege stehenbleiben?!
      Freundlichen Gruß
      Felizitas Küble

  2. Fast ist es nun gut, dass Kardinal Müller nicht mehr Präfekt der Glaubenskongregation ist. So kann er viel freier sprechen, zu viel mehr Themen Stellung nehmen, auch mal Strittiges äußern und muss nicht so viel Rücksicht nehmen. Freie Rede in der Kirche – nicht nur wenn es um Reformforderungen geht (wie manche gemainstreamte Bischöfe dies derzeit tun), sondern auch wenn es um Verteidigung von Werten und unerschrockener Benennung von Verirrungen und Irrtümern geht: Dafür steht Kardinal Müller! Dafür steht und stand auch immer Josef Ratzinger!
    Wir müssen für solche Kämpfer, ja Widerstandskämpfer dankbar sein. So wie wir mit Hochachtung und Dankbarkeit auf den Deutschen Widerstand und die zahllosen Priester und Laien blicken, die für Glauben, Kirchenlehre und freie Rede in den KZs umgekommen sind.
    Ebenso müssen auch wir Widerstand leisten gegen die derzeit laufende Transformation unserer Gesellschaft: Schwangerschaftsabbrüche sollen zu einer „verlässlichen Gesundheitsversorgung“ gehören! Drei Wörter mit einer eindeutig positiven Konnotation, verlässlich, Gesundheit, Versorgung – dieses Framing für ein heimtückisches Verbrechen an ungeborenen Menschen zu benützen, das kann man nur noch als diabolisch bezeichnen. (Heimtückisch ist es ganz sicher für das ungeborene Kind) Daher sind Märsche fürs Leben so wichtig, wohl selten wichtiger als jetzt!
    Kommen Sie am 19. März nach München, 13 Uhr Königsplatz. Dort treffen wir uns zum 2. Münchner Marsch fürs Leben.

  3. Zunächst einmal: Kardinal Müller legt seine Position dar wie jeder andere auch, seine Meinung ist für ein kleines Segment der kath Kirche von Bedeutung und stellt seine Privatmeinung dar, hat aber im Rahmen der allgemeinen Diskussion uneingeschränkt seine Berechtigung

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