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Bayern: 62. Gelöbniswallfahrt der vertriebenen Donauschwaben nach Altötting

Von Stefan P. Teppert

Der 24. März 1946 – am Vorabend des Festes Mariä Verkündigung –  war der Tag, an dem PaterWendelin Gruber zusammen mit seinen hoffnungslos im Vernichtungslager Gakowa (Jugoslawien) dahinsiechenden donauschwäbischen Landsleuten in einer Messfeier gelobte, jährlich aus Dankbarkeit zu wallfahren, „wenn wir am Leben bleiben“.

Zu Pfingsten 1946 wiederholte er dieses Gelöbnis bei einem geheimen Gottesdienst im Vernichtungslager Rudolfsgnad. An dieses Versprechen erinnerte der Jesuitenpater seine Landsleute, nachdem er durch Vermittlung von Bundeskanzler Konrad Adenauer aus sechsjähriger Kerkerhaft in Jugoslawien nach Deutschland entlassen worden war.

Bis heute wird dieses Gelöbnis von Überlebenden und Bekennern bei Wallfahrten in Europa, Nord- und Südamerika jedes Jahr aufs Neue eingelöst. Längst ist es zum Klassiker donauschwäbischer Nachkriegsfrömmigkeit geworden.

1959 gründete Gruber die Wallfahrt nach Altötting, die seither alljährlich am zweiten Wochenende im Juli als größte der donauschwäbischen Gelöbniswallfahrten stattfindet, unterbrochen lediglich durch die Coronakrise, dieses Jahr zum 62. Mal.

In der Stiftskirche zelebrierte am Samstag um 15 Uhr Stiftskanoniker Johann Palfi die Eröffnungsmesse. Er begrüßte die Wallfahrer im Namen des St. Gerhardswerks und betonte, dass die Donauschwaben bis heute ihre Kultur und Religion heiliggehalten hätten und es darauf ankomme, dass sie Pater Wendelin Grubers Gelöbnis gemeinsam einlösen.

Man könne dankbar sein für das, was uns mit Gott und mit allen verbindet, die schon seit 500 Jahren in Altötting gebetet haben. Dr. Franz Metz begleitete an der Orgel die aus dem Banater Bergland stammenden Weidenthaler Chormädels. Die Pilger lauschten ergriffen dem harmonischen Ensemble glockenreiner Stimmen.

Historikerin zur Identität der Ungarndeutschen

Dr. Kathi Gajdos-Frank, ungarndeutsche Historikerin und Direktorin des Jakob-Bleyer-Heimatmuseums in Budaörs, zeigte dann in ihrem Vortrag, wie eng Glauben und Identität bei den Ungarndeutschen seit ihrer Ansiedlung zusammenhängen. Die katholische Kirche sei immer die Institution gewesen, die den Rahmen für die gesellschaftlichen Normen vorgab und den Ungarndeutschen Kontinuität sicherte, der katholische Glaube war ein wichtiges Element der ethnischen Identität zur Aufrechterhaltung des schwäbischen Selbstbewusstseins.

Besonders nach den härtesten Schicksalsschlägen Deportation, Vertreibung und Enteignung sei bei den in Ungarn gebliebenen wie auch den internierten Schwaben der Glaube eine Überlebensstrategie geworden, habe angesichts der Tabuisierung alles Deutschen im Kommunismus Gemeinschaft gestiftet, die Identität gestärkt und sei die einzige verbliebene Möglichkeit gewesen, sich als Schwaben zu erleben.

Gemeinsam mit Maria in der Nachfolge Christi

Die Vorabendmesse in der Basilika St. Anna zelebrierte Pfr. Paul Kollar mit Konzelebranten ab 20 Uhr. Er begrüßte besonders die Gruppe aus Entre Rios in Brasilien und bemerkte, dass wir ohne Pater Wendelin Gruber und sein Gelöbnis gar nicht hier wären. Seit 62 Jahren wallfahren die Donauschwaben nunmehr nach Altötting in Befolgung dieses Gelöbnisses und immer wieder mit dem Blick auf Maria, eine Frau, die den Glaubensweg mustergültig vorausgegangen sei.

Kollar stellte drei exemplarische Ereignisse aus dem Leben Marias in den Raum, bei denen sie durch ihr standfestes Vertrauen in Gottes Führung für uns zu einem Anker des Vertrauens und zur Fürbitterin geworden ist: beim 12-jährigen Jesus, als er drei Tage ausbleibt und im Tempel die Schriftgelehrten mit seinen Fragen in Erstaunen setzt; bei der Hochzeit zu Kana, als er sein erstes Wunder tut und Wasser in Wein verwandelt; und die Schmerzensmutter mit ihrem toten Sohn auf dem Schoß.

Auch Wendelin Gruber, für den Maria die Reisegefährtin seines Lebens war, habe nach Lagerzeit und Kerkerhaft vertrauensvoll die Altöttinger Wallfahrt begründet. Das Schicksal unserer Volksgruppe zeige immer wieder das Vertrauen in das Wirken der Gottesmutter und erzähle vom Vertrauen auf ihre Fürbitten, die uns in jeder Situation halfen und auch ihn selbst, so Kollar, nie im Stich gelassen habe.

Dass vielen Pilgern in Altötting, dem bayerischen Nationalheiligtum und größten Wallfahrtsort in Deutschland, geholfen wurde, bezeugen die über 2.100 Votivtafeln in und um die Heilige Kapelle.

Nach der Messe prozessierten die Pilger, angeführt von Wallfahrtsrektor und Altöttinger Stadtpfarrer Prälat Günther Mandl und der donauschwäbischen Geistlichkeit, in der Abenddämmerung mit ihren Kerzenlichtern – Marienlieder singend – von der Basilika zum Kapellplatz und umrundeten drei Mal die Gnadenkapelle.

Festliche Prozession zur Basilika

Am Sonntagmorgen bewegte sich zu den festlichen Klängen der Blaskapelle der HOG Sanktanna unter Leitung von Josef Wunderlich eine Prozession von der Stiftskirche zur Basilika, vorn die Träger(innen) des Kreuzes, dahinter einer Kerze mit Inschrift „62. Gelöbniswallfahrt“, dann in der Mitte die Fahne des St. Gerhardswerks und eine Trachtenträgerin aus Entre Rios, links und rechts flankiert von einer Tafel mit dem Bildnis Pater Grubers und einer mit der Kirche des Wallfahrtsortes Maria Radna, es folgten Fahnenabordnungen, vier Frauen mit Marienstatue auf einer Trage, Musikkapelle, Geistlichkeit, Trachtenträger und Pilger.

Nach dem Einzug aller Beteiligten in die Basilika begrüßte Dipl. Ing. Josef Lutz aus Sanktanna/Nürnberg, der Organisator der Wallfahrt und Vize-Vorsitzende des St. Gerhardswerks Stuttgart die Pilger sowie eine Reihe von Ehrengästen, zuerst den Hauptzelebranten und Vorsitzenden des St. Gerhardswerks Pfr. Klaus Rapp, dann den früheren Bürgermeister Altöttings Herbert Hofauer, den Wallfahrtsrektor Prälat Dr. Klaus Metzl, viele weitere Persönlichkeiten, sodann die Gäste aus Amerika, Kanada, Argentinien und Brasilien, schließlich alle Pilger und Gläubigen aus Nah und Fern

Dr. Dr. h. c. Florian Kührer-Wielach, der Direktor des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der LMU München, hatte sich in seinem Wort „Mütter auf dem Weg“ zum Thema gemacht.

Verfolgung von deutschen Zivilisten in Jugoslawien

Wie ungerecht kollektive Bestrafungsmechanismen sind, zeige sich am deutlichsten an den Schwächsten: an Frauen, Kindern und Gebrechlichen, die deportiert und interniert wurden, um an Hunger und Krankheit zu sterben, wie es in den Vernichtungslagern Jugoslawiens nach dem Zweiten Weltkrieg der Fall war.

Mütter sind diejenigen, die überleben und bleiben müssen, weil sie schweigen und sich nicht vordrängen, weil ihnen die Mittel fehlen oder der Weg zu gefährlich ist, weil es mit den Kindern, für die sie zu sorgen haben, gar nicht möglich ist.

Ihre Probleme und Hoffnungen trugen sie vor die Gnadenmutter, vor das milde blickende Antlitz der wohl mächtigsten und einflussreichsten schweigenden Frau der Welt. Mit Hilfe der Madonna konnten sich die Frauen im Lager oder auf der Flucht Trost und Kraft wie auch jene Würde wiederholen, die ihnen zu allen Zeiten als ein Mittel der Kriegsführung und der Unterwerfung genommen wurde.

Vielleicht, so resümierte Kührer-Wielach, sollte sie manchmal doch etwas weniger mild auf die Welt blicken, diese erste und vornehmste unter den Menschen, die Schwarze Madonna von Altötting, die Frau mit dem Kind auf dem Arm, und öfters die Stimme erheben, mit der Hilfe ihrer Schicksalsgefährtinnen in Geschichte, Gegenwart und Zukunft, um neben Gnade auch Gerechtigkeit einzufordern und um aus den Geschichten der Opfer auch eine Geschichte des Überlebens, der Stärke und der Befreiung zu machen.

Zelebrant Rapp: Sohn einer vertriebenen Donauschwäbin

In der Basilika feierten zusammen mit dem Vorsitzenden des St. Gerhardswerks Stuttgart Pfr. GR Klaus Rapp die Konzelebranten Msgr. Andreas Straub, Pfarrer Paul Kollar, Pfr. Karl Zirmer und Stiftskanoniker Johann Palfi das Hochamt. Der Banater Kirchenchor St. Pius aus München sang die „Missa brevis“ von Conrad Paul Wunsching (1827 – 1900).

In seiner Predigt erinnerte sich Klaus Rapp – auch seine Mutter eine donauschwäbische Flüchtlingsfrau – an seine erschütternden Besuche ehemaliger Vernichtungslager in der alten Heimat, zugleich ertappe man sich aber dabei, heutige Flüchtlingsschicksale schnell wieder aus dem Gedächtnis zu verlieren. Angesichts einer Vergangenheit jedoch, die Trauer und Wut zurücklässt, verstärke sich die Sehnsucht nach Frieden und Hoffnung für alle Menschen.

Während der Coronakrise seien wir auf Abstand voneinander gehalten worden. Doch unser auf Gemeinschaft angelegtes Wesen und obendrein Jesu Botschaft widersprächen dieser Trennung. Jesus habe uns den Heiligen Geist gesandt, um den Glaubensweg gemeinsam zu gehen und in seinem Auftrag zu wirken, auch wenn wir als Donauschwaben und ehemalige Flüchtlinge und Vertriebene neue Wege ins Unbekannte gehen mussten.

Aus Konflikten und Krieg erwachsen, so Rapp, auch neue Chancen für Gerechtigkeit, Freiheit und Selbstbestimmung, nur dann allerdings, wenn wir uns auf den Weg des Friedens auch einlassen.

Traditionsgemäß spielte nach dem Gottesdienst und vor dem Auszug zum Gedenken an die Toten bei geneigten Fahnen die Blaskapelle der HOG Sanktanna die zwei getragenen Stücke: „Ich hatt’ einen Kameraden“ und „Totenmarsch“.

Am Nachmittag wurden, wie in all den Jahren zuvor, in der Basilika Marienlieder gesungen. in der anschließende Marienandacht vertiefte Pfr. Kollar das Thema Vertrauen. Am Ende segnete Msgr. Straub die von Pilgern erworbenen Andachtsgegenstände. Mit seinen 87 Lebens- und 62 Priesterjahren hat er bei der diesmal ersten Altöttinger Gelöbniswallfahrt ohne Bischof diese Segnung zum dreißigsten und – gemäß seiner Ankündigung – letzten Mal vorgenommen.

Fotos: Stefan P. Teppert, Archiv

 

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