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Stellungnahme des CDU-Chefs Friedrich Merz:

„Vertraulich und exklusiv“ haben mir die Vorsitzenden der Ampelfraktionen von SPD, Grünen und FDP am vergangenen Sonntagnachmittag den Gesetzentwurf der Koalition über ein neues Wahlrecht zugeschickt.

Bereits eine Stunde später konnten wir in der FAZ einen ausführlichen Bericht über diesen Gesetzentwurf lesen, am Abend wurde in allen Medien über den Vorschlag der Koalition breit berichtet.

Die Koalition plant einen Systemwechsel in unserem Wahlrecht, hin zu einem Verhältniswahlrecht, in dem die Wahlkreise nicht mehr automatisch vom Erstplatzierten gewonnen werden, sondern eine endgültige „Zuteilung“ des Mandats davon abhängig gemacht wird, ob die Partei, der der Wahlkreisgewinner angehört, auch genug Zweitstimmen erlangt hat.

Mit anderen Worten: ein gewonnener Wahlkreis ist noch längst kein gewonnener Wahlkreis. Wenn eine Partei in einem Bundesland mehr Direktmandate gewinnt als ihr nach den Zweitstimmen zustehen würde („Überhangmandate“), dann gelten die Wahlkreisbewerber mit den wenigsten Stimmen als nicht gewählt.

Als CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist unsere Position klar: Der Deutsche Bundestag ist mit gegenwärtig 736 Abgeordneten viel zu groß. Er muss deutlich verkleinert werden, und zwar rechtzeitig vor der nächsten Bundestagswahl. Eine Zielgröße von 600 Abgeordneten wäre angemessen für unser Parlament.

Aber lässt sich eine solche Verkleinerung wirklich nur erreichen, wenn gewonnene Wahlkreismandate nicht mehr „zugeteilt“ werden? Oder gibt es nicht doch einen besseren Weg, um dasselbe Ziel zu erreichen, nämlich die signifikante Verkleinerung des Bundestages auf rund 600, ohne in die Ergebnisse der Wahlkreise so tief einzugreifen?

Um diese Frage angemessen beantworten zu können, muss man ein wenig in die Details unseres Wahlrechtes eintauchen.

Wir haben gegenwärtig 299 Wahlkreise in Deutschland, in denen die- oder derjenige Bewerber(in) als gewählt gilt, die oder der die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen („Erststimme“ bzw. die Bürgerstimme) in einem Wahlkreis erreicht hat.

Zusätzlich werden weitere 299 Abgeordnete über die Landeslisten der Parteien gewählt. Erzielt eine Partei in einem Bundesland mehr Wahlkreismandate als ihr nach dem prozentualen Ergebnis der „Zweitstimme“ zustehen würden, entstehen „Überhangmandate“. Diese Überhangmandate müssen ausgeglichen werden, und zwar bis die Verteilung der Sitze auf alle Fraktionen wieder so ist, wie sie dem prozentualen Wahlergebnis aller Parteien in allen Bundesländern entspricht („Ausgleichsmandate“). So wird der Bundestag je nach Wahlergebnis deutlich größer als 598.   

Der Vorschlag der Ampel irritiert in mehrfacher Hinsicht. Sie erkennen die Überhangmandate einfach nicht mehr an, und damit entfällt auch die Notwendigkeit der Ausgleichsmandate.

Wenn eine Partei schwächer ist, als es der Zahl der gewonnenen Wahlkreismandate entspricht, fällt das Ergebnis der Bürgerstimme, der Stimme also, mit der die Wähler in einem Wahlkreis ihren Abgeordneten wählen, einfach unter den Tisch. Pech gehabt, soll man dann sagen, Wahlkreis gewonnen, aber den Sitz im Bundestag gibt es nicht.

Einen solchen tiefen Eingriff in unser Wahlrecht und in das Demokratieprinzip unseres Grundgesetzes hat es bisher noch nicht gegeben.

Aber es gibt einen Weg, diese für uns nicht hinnehmbare Missachtung des Wählerwillens in den Wahlkreisen entgegenzutreten, und den Bundestag trotzdem auf rund 600 Abgeordnete zu verkleinern! 

Wir unterbreiten der Ampel fünf Vorschläge:

  1. Schon in der letzten Wahlperiode ist beschlossen worden, das Bundesgebiet nicht in 299 Wahlkreise, sondern in 280 Wahlkreise aufzuteilen. Die Ampel will wieder 299. Wir könnten uns auch 270 vorstellen, in jedem Fall sollten es nicht mehr sein als die bereits beschlossenen 280. Die Zahl steht im geltenden Bundeswahlgesetz. Schon das wäre eine Verkleinerung des Bundestages.
  2. Wir sollten den Spielraum, den uns das Bundesverfassungsgericht eingeräumt hat, ausschöpfen und bis zu 15 Überhangmandate ohne Ausgleich zulassen. Ein Überhangmandat löst bis zu 16 (!) Ausgleichsmandate aus. Auch diese Öffnung könnte also eine deutliche Verkleinerung des Bundestages auslösen.
  3. Die Zahl der Wahlkreise, die eine Partei gewinnen muss, um unterhalb von 5 % der Zweitstimmen trotzdem in den Bundestag einzuziehen, könnte von drei auf fünf angehoben werden. Der Schritt ist seit der deutschen Einheit überfällig und würde im Bundestag nach heutigem Stand 36 Mandate weniger bedeuten.
  4. In der Zuteilung der Ausgleichsmandate auf die Länder gibt es noch einen (begrenzten) Spielraum, um auch die Zahl der Ausgleichsmandate zu verringern.
  5. Neben den 270 Wahlkreisen schlagen wir vor, 320 Listenmandate als Regelgröße einzuführen. Das bedeutet, dass zukünftig 50 Listenmandate mehr als Direktmandate im Bundestag ihren Sitz haben. Auch dadurch reduzieren sich mögliche Ausgleichsmandate.

Wenn es 270 Wahlkreise werden und 320 Mandate über die Listen der Parteien, dann läge die Zielgröße des Bundestages nach unserem Vorschlag sogar noch unter der Zielgröße der Koalition. Überhang- und Ausgleichsmandate, die dann noch dazukommen könnten, würden in ihrer Zahl durch unsere Vorschläge so klein ausfallen, dass bei vollem Erhalt der Bürgerstimme in den Wahlkreisen der Bundestag deutlich verkleinert und auf rund 600 Mandate reduziert werden würde.

Dieses Wahlrecht wären wir bereit, in einem großen politischen Konsens schnell im Deutschen Bundestag zu entscheiden.

Die Ampel sollte diesen Weg mit uns ernsthaft prüfen!

Quelle: Merz-Newsletter vom 21.1.2023

Kommentare

8 Antworten

  1. Ich halte die Vorschläge der Ampel für Demokratiefeindlich und im Grunde genommen für sehr gefährlich, weil sie eine Diktatur dauerhaft befördern würden.
    Ich stimme Herrn Merz und seinen Änderungsvorschlägen vollumfänglich zu!!

  2. Lieber Hartmut Steeb: Es ist mir nicht klar, was Sie meinen mit Hälfte über Direktmandate: das sogenannte Grabenwahlsystem, das kleinere Parteien benachteiligt, außer denen mit ganz besonders ausgeprägten Hochburgen, in concreto in Deutschland besonders die Linkspartei? Das würde bewirken, daß die Forderung des Verfassungsgerichts nach ganz vorrangiger Bedeutung der Zweitstimme übergangen würde. Diese Forderung „Karlsruhes“ ist höchst berechtigt, da die allermeisten Wähler mit ihrer Stimme für ihren Wahlkreiskandidaten gar nicht den wählen wollen, sondern seine Partei.

    Ihre Forderung, daß ein Direktmandat nur dann zum Einzug in den Bundestag führt, wenn der Stimmenanteil des Wahlkreisgewinners einen bestimmten Anteil übersteigt, verwirklicht ja gerade der SPD/Grünen/FDP- Vorschlag. Der Unterschied liegt nur darin, daß sie einen absoluten (!) Prozentanteil vorschlagen, der Wahlsieger in den Bundestag bringt, der Regierungsvorschlag aber nur die – meist kleine – Minderheit benachteiligt, die im Vergleich zu siegreichen Wahlkreiskandidaten ihrer Partei prozentual (!) am wenigsten Stimmen erhielten. Bei Wahlergebnissen wie heute üblich, brächte ihr Vorschlag wohl weniger bis sehr wenige Wahlkreiskandidaten durch.
    Herr Merzens Vorschlag bewirkt vor allem, daß das Ergebnis zugunsten von CDU/CSU manipuliert wird, da die nach den Zweitstimmenergebnis wohl vor allem CDU/CSU zu Unrecht zufallenden Überhangmandate nicht mehr ausgeglichen werden durch Ausgleichsmandate für andere. Herr Merz als Fan der Bedeutung von Wahlkreissiegern könnte eventuell auch einmal loben, daß der Regierungsvorschlag den Anteil der Wahlkreissieger an der Gesamtzahl der Abgeordneten gegenüber jetzt drastisch erhöht.

    Die Größe des Bundestages sollte nach Arbeitserfordernissen erfolgen: Legt ein Verein den Umfang des Vorstandes nach den Arbeitserfordernissen fest, wird der Umfang des Vorstandes ja üblicherweise auch nicht verringert, wenn statt 80 Prozent der Mitglieder nur 50 % in der Mitgliederversammlung darüber abstimmen. Und wird der Vorstand eines AG-Großkonzerns verkleinert je nach Beteiligung am Wahlvorgang im Aufsichtsrat?

  3. Ich halte es nicht für gut, dass die Listenmandate mehr Gewicht im BT erhalten, Im Gegenteil, die Direktmandate sollten das Übergewicht erhalten auf Kosten der Listen. Über die Listen kommen die Parteisoldaten. Wir sollten aber mehr Menschen/Abgeordnete von der Basis des Volks in den BT wählen können und das wäre vielleicht über Direktmandate möglich.

    1. Dr. Johann Frahm: Durch die Reform, wie Sie die Regierung vorschlägt, wird die Prozentzahl der Abgeordneten, die über Direktmandate in den Bundestag einziehen statt durch Listenplätze, gegenüber jetzt drastisch erhöht! UND: Listenplätze kommen sowieso erst dann „dran“, wenn nicht schon alle Mandate einer Partei in einem Bundesland durch Direktmandate ausgeschöpft sind. In Bayern, dessen CSU die Regierungspläne mit unverschämten Vergleichen kritisiert, werden zukünftig bei ähnlichen Ergebnissen wie jetzt üblich, Listenkandaten der CSU exakt null Chance haben, in den Bundestag zu kommen. Ich war jahrzehntelang Mitglied von CDU/CSU und deren Funktionär, halte die Kritik der Union aber für falsch, unfair und manipulativ

      1. Und wie wäre es, wenn wir nur noch Direktmandate hätten, d.h. das Wahlrecht dahingehend ändern würden? Was meinenSie, wie sich die Kandidaten in den Wahlkreisen anstrengen würden. Auch von den kleinen Parteien.

        1. Dr, Johann Frahm: Das Anstrengnen kann man auch ohne Mehrheitswahlrecht erreichen, ja sogar viel besser, etwa durch ein Verhältnispersönlichkeitrechtwahlrecht. Beim Mehrheitswahlrecht haben Kandidaten sicherer Wahlkreise keinen besonderen Grund zur Anstrengung und noch weniger chancenlose Kandidaten kleinerer Parteien. Zudem ist das Mehrheitswahlrecht absurd ungerecht, weil es kleinere Parteien nur dann nicht extrem benachteiligt, wenn diese ganz konzentriert stark sind in bestimmten Wahlkreisen, etwa in der BRD Grüne in wenigen „woken“ Wahlkreisen und Linke in DDR-nahen. Mehrheitswahlrecht bewirkt zudem, daß ganze Gegenden ganz einseitig vertreten sind: Die CDU hätte sehr wenig Gewinner in Großstädten und die SPD fast keine in ganz Bayern… Viele weitere Mängel schildere ich hier jetzt nicht…

  4. Dass Direktmandate nicht mehr ziehen halte ich für nicht zielführend. Aber ist es zwingend Ausgleichsmandate zu vergeben? Warum nicht die Hälfte über Direktwahl und die Hälfte über Verhältniswahl, Punkt. Man könnte natürlich auch festlegen, dass ein Direktkandidat nur gewählt ist, wenn er ein gewisses Maß bekommt, 50% wäre klar; 40 % ginge auch noch. Und dann wäre noch zu bedenken, ob über das Verhältniswahlrecht nur so viele Mandate vergeben werden wie es der Wahlbeteiligung entspricht. Dann blieben die Nicht-Wähler durch Nicht-Repräsentation „repräsentiert“ und würden zur Kosteneinsparung dienen.

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