Wir leben in einer hastigen Zeit
Wir leben in ’ner eiligen, hastigen Zeit
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand,
der eine schiebt heute den andern beiseite
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand.
Wir drängen alle vorwärts, ob Hinz oder Kunz,
sind stets außer uns, und wir kommen nie zu uns,
denn wir werden mit uns ja nur flüchtig bekannt
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand.
Der Tag beginnt schon in eiligem Lauf
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand,
der Wecker, er weckt uns, wir stehen schon auf
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand.
Schnell ziehn wir uns an, wir schlingen unseren Schmaus,
der ist noch nicht runter, da treten wir aus
und sitzen selbst dort an der hinteren Wand
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand.
Wir turnen, wir trainieren, zum Masseur gehen wir hin
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand,
mal sind wir zu dick, mal sind wir zu dünn
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand.
Wir gehen nie, sind auf dem Laufenden stets,
wenn wir wen treffen, dann fragen wir: Wie gehts?
Und eh der uns was sagt, sind wir weiter gerannt
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand.
Wir fahren in die Ferien und sitzen am Strand,
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand,
erwarten die Post, den geschäftlichen Stand
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand.
Ein Buch mal zu lesen, das wär ein Genuß –
wir lesen den Anfang und schauen nach dem Schluß,
durchblättern den Goethe, durchfliegen den Kant
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand.
Wir machen ne Reise im Automobil
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand,
wir reisen nicht mehr, wir rasen zum Ziel,
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand.
Fragt man uns: Die Gegend war wohl sehr schön.
Dann sagen wir JA und wir haben nichts gesehen,
denn wir fuhren bloß vorbei ohne Sinn und Verstand
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand.
Die Liebe, die Ehe betreiben wir als Sport
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand,
wir finden uns, verbinden uns und – pflanzen uns fort
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand.
Will sie ihn mal küssen, dann stellt er sich froh –
und denkt sich: Nun mach schon, ich muß ins Büro –
Und er drückt sie ans Herz und küßt sie galant
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand.
So eilen wir durchs Leben ohne Freud und Pläsier,
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand,
da, plötzlich steht einer, ist mächtiger als wir,
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand.
Der sagt: Du brauchst nicht auf die Uhr mehr zu sehn,
denn meine geht weiter und deine bleibt stehen,
und er winkt uns hinüber ins andere Land
mit der Uhr in der Hand, mit der Uhr in der Hand.
Otto Reutter (1870 – 1931)
Eine Antwort
Herrlich!
So ist es ..wieviel besser würde es uns gehen, wenn wir die Uhr mal aus der Hand legen würden …
Danke fürs Einstellen, Fr. Küble.